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6.6. Durchführung der Reaktionen

Nachdem die Reaktionssubstruktur gefunden wurde und auch die Bedingungen zutreffen, die an die RSS gestellt werden, kann die Reaktion selbst durchgeführt werden. Ist die Kinetik zur Bestimmung der Konzentrationen angeschaltet, wird gleichzeitig aus den physikochemischen Eigenschaften der Edukte und Produkte sowie unter Umständen von Zwischenprodukten und Übergangszuständen die Geschwindigkeitskonstante bzw. Reaktionswahrscheinlichkeit der Reaktion berechnet. Werden während der Reaktion zusätzliche Moleküle eingeschleust, muß dann noch die von EROS7 berechnete Symmetriezahl der Reaktion korrigiert werden.

6.6.1. Reaktionsgenerierung

6.6.1.1. Erzeugung von Zwischenprodukten und Übergangszuständen

Die Reaktionsgenerierung selbst besteht alternierend aus Teilen, in denen Eigenschaften der Aggregate, Moleküle, Gruppen, Atome und Elektronensysteme abgefragt werden oder das Ensemble modifiziert wird. Zu den Modifikationen gehört neben dem Bruch oder der Bildung von Elektronensystemen auch das Setzen von genealogischen Variablen. EROS7 erkennt automatisch, in welchem Teil sich der einzelne Reaktionstyp gerade befindet. Immer, wenn die Modifikationen abgeschlossen sind und begonnen wird, Eigenschaften vom Ensemble abzufragen, gilt das Ensemble als neues Produkt. Es kann sich dabei auch um ein Zwischenprodukt oder einen Übergangszustand handeln, von denen aus dann weitere Modifikationen vorgenommen werden. Als Reaktion wird nach Abschluß aller Teile der Reaktionsgenerierung die Gesamtreaktion vom Edukt zum letzten erzeugten Produkt gespeichert und ausgegeben. Während der Übergangszustand oder das Zwischenprodukt aktiv ist, können auch deren physikochemische Eigenschaften abgefragt werden und anschließend für die Berechnung der Geschwindigkeitskonstante eingesetzt werden. Läßt sich auch für den Übergangszustand die Bildungswärme berechnen, kann aus der Differenz der Bildungswärmen des Edukts und des Übergangszustands die Aktivierungsenthalpie der Reaktion ermittelt werden. Hat man gleiches auch für die Reaktionsentropie, läßt sich auch die freie Aktivierungsenergie bestimmen. Somit könnte man die Geschwindigkeitskonstante alternativ zur Berechnung aus verschiedenen physikochemischen Eigenschaften auch über die Beziehung

bestimmen. Eine Beschränkung der Zahl der Zwischenprodukte und Übergangszustände gibt es nicht. Zur schnelleren Abarbeitung der Regeln von EROS7 sollten nach Möglichkeit alle Modifikationen in einem Block durchgeführt werden und zwischendurch keine Eigenschaften abgefragte werden, die auch vom Edukt abgefragt und zwischengespeichert werden können, damit möglichst wenig Zwischenprodukte erzeugt werden.

Von den Edukten über die Zwischenprodukte und Übergangszustände zu den Produkten muß gewährleistet sein, daß jedes Atom nach den einzelnen Reaktionsteilschritten auch wiedergefunden werden kann. Deshalb wird gewährleistet, daß der Index für alle Atome, Elektronensysteme und Gruppen während aller Teilreaktionen gleich bleibt. Während der Reaktionen können allerdings Elektronensysteme und Gruppen gebildet und vernichtet werden, was, wie später zu sehen sein wird (siehe 6.6.1.6), auch auf die Atome zutrifft. So kann ein Teil der anfangs durchnumerierten Indizes im Laufe der Reaktionsschritte ungültig werden, weshalb die Möglichkeit besteht zu überprüfen, welche Indizes verfügbar sind. Die Aggregat- und Molekülindizes kann man nach jeder Teilreaktion über die Atome, die sie enthalten, abfragen.

6.6.1.2. Reaktionen auf der Datenstruktur RICOS

Bruch von Elektronensystemen

Die neue Datenstruktur RICOS kodiert die Bindungen als Elektronensysteme der Typen und . Dabei gilt der Teil des Moleküls als eben, über das sich ein -System erstreckt. Sind benachbarte -Systeme nicht miteinander konjugiert, zeigt dies eine Verdrehung des Moleküls aus der Ebene an dieser Stelle an. Neben den - und -Elektronensystemen besitzen die Moleküle auch freie Elektronenpaare und unbesetzte Atomorbitale, die ebenfalls als -Systeme kodiert sind, nur an einem Atom beteiligt sind und 2 bzw. 0 Elektronen besitzen. Die Reaktionsgenerierung besteht nun darin, die richtigen - und -Systeme zu finden und sie zu verbinden bzw. zu spalten. In den Regeln werden die Elektronensysteme angegeben, die ausgehend von den Atomen in der Reaktionssubstruktur gesucht werden. So kann beispielsweise das -System, das die Atome 1 und 2 in der Reaktionssubstruktur verbindet, gebrochen werden. Hierzu stehen Eigenschaften, wie Elektronensysteme an einem bzw. zwischen zwei Atomen" zur Verfügung. Für den Bruch eines Elektronensystems wird angegeben, zwischen welchen Atomen das Elektronensystem gespalten wird (siehe Atom A und B in Abbildung 88) und wieviele Elektronen dasjenige Elektronensystem erhält, an dem das Atom A beteiligt ist.

* Bruch eines -Systems

-Systeme werden zwischen den beiden Atomen gespalten und es entstehen daraus zwei -Systeme, wobei auch freie Elektronenpaare als -Systeme kodiert sind (siehe oben). Das Elektronensystem, an dem das Atom A beteiligt ist, erhält die angegebene Anzahl an Elektronen, das andere Elektronensystem die restlichen Elektronen des gespaltenen -Systems. Wird eine negative Elektronenzahl bzw. keine angegeben oder bleibt eine negative Elektronenzahl für das andere Elektronensystem übrig, wird die Zahl der Elektronen automatisch so verteilt, daß jedes der entstehenden Elektronensysteme möglichst so viele Elektronen erhält, wie es zum nun gespaltenen Elektronensystem beigetragen hat. Für diese automatische Verteilung der Elektronen werden intern Heuristiken (siehe 6.6.1.5) verwendet, deren Einsatz auf neutrale Moleküle oder Moleküle mit Oniumgruppen beschränkt ist, die nur Hauptgruppenelemente ohne Oktettaufweitung und keine Mehrzentren--Systeme enthalten.

Abbildung 88: Bruch eines -Systems.

Bei der Spaltung eines cyclischen -Systems wird das -System im ersten Schritt nicht gespalten, aber in der Datenstruktur als gebrochen markiert. Wird dieses -System an einer zweiten Stelle oder alle - und -Systeme zwischen den Atomen gespalten, ist das ringförmige Elektronensystem dann aufgebrochen.

* Bruch eines -Systems

Bei der Spaltung eines 2-Zentren--Systems entstehen zwei -Systeme, an denen je eines der beiden Atome beteiligt ist, also zwei nicht konjugierte p-Orbitale. Auch hier erhält das p-Orbital am Atom A die angegebene Zahl von Elektronen und das andere den Rest. Würde für eines der p-Orbitale eine negative Elektronenzahl resultieren, zum Beispiel dadurch, daß die Elektronenverteilung nicht angegeben wurde, bekommt das p-Orbital am Atom A ein Elektron und das am Atom B den Rest.

Abbildung 89: Bruch eines -Systems, wobei das Chloratom zwei Elektronen bekommt.

Für Mehrzentren--Systeme wird nur das Atom A aus dem -System herausgenommen und erhält ein p-Orbital mit der Elektronenzahl, die für diesen Teilschritt des Reaktionstyps in den Regeln festgelegt wurde, bzw. null Elektronen.

Abbildung 90: Bruch eines Mehrzentren--Systems.

* Bruch einer Komplexbindung

Der Bruch einer Komplexbindung verläuft analog einem Bruch eines Mehrzentren--Systems. Als Atom A wird das Metallatom angegeben, das durch den Bruch ein unbesetztes Atomorbital erhält, das aus der Komplexbindung entfernt wird. So können nach und nach alle mit dem besetzten -System zu einer Komplexbindung vereinigten Atomorbitale herausgenommen werden, wodurch die Komplexbindung aufgehoben wird. Zurück bleiben schließlich die unbesetzten Atomorbitale am Metall und das -System des Liganden.

Bildung von Bindungen

In umgekehrter Weise des Bruchs können die verschiedenen Elektronensysteme auch aufgebaut werden. Dazu werden die beiden Elektronensysteme angegeben, die verknüpft werden sollen, und der Typ des Elektronensystems, das entstehen soll. Der Typ kann , oder komplex sein. Ist kein Wert oder default" angegeben, wird ein -System erzeugt, wenn zwischen den Atomen kein -System existiert, anderenfalls ein -System. Die Atome, zwischen denen die Elektronensysteme verknüpft werden, werden intern bestimmt, was für die Bildung von -Systemen keine zusätzliche Aufgabe ist.

* Bildung einer -Bindung und Konjugation von -Systemen

Für die Knüpfung einer -Bindung oder die Konjugation von -Systemen werden diese zu einem neuen, größeren vereinigt. Problemfälle, die hierbei auftreten können siehe 6.6.1.3.

Abbildung 91: Verknüpfung zweier -Systeme zu einem neuen.

* Bildung von -Systemen

Reguläre -Systeme werden aus zwei -Systemen gemacht. Am besten erzeugt man sie aus zwei -Systemen mit nur je einem Atom (p-Orbitalen). Zwischen diesen beiden Atomen wird dann das -System gebildet und erhält die Summe der Elektronen der beiden p-Orbitale. Handelt es sich bei den -Systemen um Elektronensysteme mit mehr als einem Atom, werden zunächst die -Systeme so gebrochen, daß an den Atomen ein Radikal (-System mit einem Atom und einem Elektron) entsteht. Da die Atome nicht übergeben werden, müssen sie intern bestimmt werden. Im Fall von zwei p-Orbitalen sind die Atome eindeutig, aber bei ausgedehnteren -Systemen kann nicht immer gewährleistet werden, daß die richtigen Atome gefunden werden, obgleich versucht wird, die Atome mit minimaler Distanz in den beiden Elektronensystemen zu finden. Es empfiehlt sich daher in den Regeln, -Systeme aus p-Orbitalen zu bilden und größere -Systeme vor der Bildung des -Systems selbst bis zur Bildung der benötigten p-Orbitale zu brechen.

Abbildung 92: Bildung eines -Systems aus zwei -Systemen.

So wie Mehrzentren--Systeme schrittweise gebrochen werden, werden sie auch schrittweise ausgehend von einem normalen 2-Elektronen-2-Zentren--System aufgebaut, wobei ein p-Orbital nach dem anderen hinzugefügt wird. So entsteht nach und nach ein -System mit 3, 4, oder mehr Atomen.

Abbildung 93: Erweiterung eines -Systems zum 3-Zentren--System.

Zunächst entstehen alle Mehrzentren--Systeme als -Systeme ohne Zentrum, wie die BBB-Bindung in Abbildung 94. Soll ein -System, wie die BHB-Bindung, gebildet werden, setzt man, nachdem man die 2-Elektronen-3-Zentren-Bindung erzeugt hat, mit der Eigenschaft EL_CENTER des Elektronensystems das Wasserstoffatom als Zentrum.

Abbildung 94: 3-Zentren--System mit (BHB in B2H6 und B5H11) und ohne Zentrum (BBB in B5H11 [54]).

* Bildung von Komplexbindungen

Analog der Bildung von Mehrzentren--Bindungen werden auch Komplexbindungen ausgehend von einem -System und der entsprechenden Zahl leerer Atomorbitale am Metallatom schrittweise aufgebaut.

Benötigte p-Orbitale und Verwaltung der Indizes

Wie schon oben erwähnt, wird teilweise ein einzelnes p-Orbital benötigt. Deshalb muß in einem Teil der Fälle dieses p-Orbital aus einem größeren -System herausgeschnitten werden. Die Schwierigkeit liegt dabei in der Verteilung der Elektronen auf die entstehenden -Systeme. Dazu wird der gleiche Verteilungsmechanismus verwendet, der genommen wird, wenn eine negative Elektronenzahl für das Elektronensystem am ersten Atom bei einer Spaltung angegeben wird (siehe 6.6.1.5). Diese arbeitet zuverlässig für neutrale Moleküle und Moleküle mit Oniumgruppen, in denen nur Hauptgruppenelemente enthalten sind, bei denen keine Oktettaufweitung stattgefunden hat. Mehrzentren--Systeme und Komplexbindungen dürfen nicht Bestandteil der Moleküle sein.

Für alle Modifikationen muß intern auch noch mitprotokolliert werden, welche Elektronensysteme gelöscht wurden und welche neu gebildet wurden, damit von der Regel aus über die Indizes auch zugegriffen werden kann. Neue Elektronensysteme erhalten aufsteigend neue Indizes. In seltenen Fällen werden bei der Überarbeitung der chemischen Datenstruktur RICOS auch Gruppen erzeugt oder gelöscht, ohne daß die Verwaltung der Indizes etwas davon mitbekommt. Deshalb wird nach jedem neu gebildeten Produkt das gesamte Ensemble überprüft, ob sich Veränderungen daran ergeben haben.

6.6.1.3. Ausschluß der Bildung ungültiger -Systeme

Bei der Knüpfung neuer Elektronensysteme muß sichergestellt werden, daß keine verdrillten oder anderweitig ungültigen -Systeme erzeugt werden. In solchen Fällen werden die -Systeme vor der Vereinigung automatisch so gespalten, daß dadurch unabhängige -Systeme entstehen und bei der Verknüpfung keine Probleme mehr vorhanden sind.

Abbildung 95 zeigt den letzten Teilschritt der Keto-Enol-Tautomerie von der Enol- in die Keto-Form. Zuvor wurden die C-C-Doppelbindung gespalten, wobei das eine Radikal mit dem freien Elektronenpaar vom Sauerstoffatom konjugiert bleibt, die O-H-Bindung gespalten und die C-H-Bindung gebildet. Es fehlt die C-O-Bindung zur Bildung der Doppelbindung. Diese wird bevorzugt aus radikalischen, an einem Atom beteiligten Elektronensystemen erzeugt. Für das Sauerstoffatom wird dazu das Radikal und am Kohlenstoffatom das Elektronensystem mit drei Elektronen gefunden. Da zwischen den beiden Atomen schon ein -System existiert, werden die beiden -Systeme miteinander verknüpft. Dies ist auch ganz richtig, aber die Konjugation mit dem freien Elektronenpaar des Sauerstoffatoms muß dabei aufgehoben werden. Daß in jedem Fall beachtet wird, daß möglicherweise Konjugationen aufgehoben werden müssen, demjenigen aufzuerlegen, der eine neue Regeln abfaßt, birgt die Gefahr, daß es vergessen wird. Deshalb wurde der Algorithmus zur Überprüfung und zum Ausschluß ungültiger -Systeme in EROS7 aufgenommen.

Abbildung 95: Verhinderung der Bildung eines ungültigen -Systems aus zwei anderen. Dies ist der letzte Teilschritt vom Enol- zu Keto-Form Tautomerie.

Abbildung 96 zeigt ein rein hypothetisches Beispiel, bei dem ein verdrilltes -System entstehen würde. Es ist eine logische Fortentwicklung der Bildung eines ungültigen -Systems.

Abbildung 96: Die Entstehung eines verdrillten -Systems (links) bei der Kombination der beiden -Systeme wird dadurch ausgeschlossen, daß das kleinere -System zuerst gespalten wird.

6.6.1.4. Valence-Bond-Emulation (Bindungslisten)

In vielen Fällen möchte man die Reaktionsbeschreibung wesentlich leichter als Änderung der Bindungsordnungen formulieren und nimmt in Kauf, daß nicht alle Moleküle behandelt werden können, da man nur Moleküle mit Hauptgruppenelementen ohne Oktettaufweitung behandeln möchte. Dies ist häufig der Fall, wenn man mit Reaktionsdaten aus Datenbanken arbeitet, da die Moleküle hier eigentlich immer als Bindungslisten (Strukturen nach Lewis) abgespeichert sind. Für diese Fälle gibt es die Valence-Bond-Emulation, die auf der MO-orientierten Datenstruktur RICOS arbeitet, als würde es sich um eine Bindungsliste handeln. Die Emulation kann allerdings nicht allgemein eingesetzt werden, da die automatische Verteilung der Elektronen, die hierfür benötigt wird, ihre Grenzen hat (siehe 6.6.1.5).

Soll eine Bindung zwischen zwei Atomen gebrochen werden, wird zunächst versucht, ein -System zu spalten. Ist kein -System zwischen den Atomen, wird das -System geteilt. Anschließend werden die Elektronen auf die beiden entstandenen Elektronensysteme so verteilt, daß möglichst jedes Elektronensystem so viele Elektronen erhält, wie seine Atome zum nun gespaltenen Elektronensystem beigesteuert haben (siehe 6.6.1.5). Elektronensysteme werden also homolytisch gespalten. Der Bruch eines Elektronensystems gilt dann als Bindungsbruch, wenn beide Elektronensysteme nach dem Bruch radikalisch sind. Ist dies nicht der Fall, wird angenommen, daß bei der Spaltung des Elektronensystems nur eine Konjugation aufgehoben wurde. Soll eine Bindung gebrochen werden und wird festgestellt, daß nur eine Konjugation aufgehoben wurde, werden weiter Elektronensysteme gespalten, bis ein Bindungsbruch stattgefunden hat. Soll ein polarer Bindungsbruch stattfinden und keine neue Bindungen gebildet werden, können nach dem homolytischen Bindungsbruch die Zahlen der freien Elektronen der beteiligten Atome um eins erhöht bzw. erniedrigt werden.

Existieren mehrere gleichwertige Grenzstrukturen in der Darstellung der Struktur als Bindungsliste, gibt es eine zusätzliche Betrachtungsweise. Nach dieser wird für die Spaltung eines -Systems zunächst immer diejenige mesomere Grenzstruktur gewählt wird, bei der möglichst kein Bindungsbruch stattfindet (siehe Abbildung 97), um in einem weiteren Schritt dann die nächste Bindung (in Abbildung 97 die -Bindung) zu brechen.

Abbildung 97: Bei der Spaltung eines -Systems wird die Grenzstruktur gewählt, bei der nach Möglichkeit kein Bindungsbruch eintritt. Die gestrichelte Linie deutet den Ort der Spaltung des -Systems an.

Wird ein cyclisches -System aufgebrochen, gilt dies normalerweise als Bindungsbruch, da sonst mit einem einzigen Bruch in einem Aromaten sowohl das -System als auch die -Bindung im Ring gespalten würden. Möchte man dies nicht, kann man dies beim Bindungsbruch angeben.

Für die Bildung einer Bindung werden an den Atomen bevorzugt radikalische Elektronensysteme herangezogen. Das Radikalzentrum kann dabei konjugiert oder nicht konjugiert sein. Ein -System wird zwischen zwei Atomen generiert, wenn zwischen diesen Atomen noch keines existiert, wobei zunächst aus den radikalischen -Systemen falls nötig die p-Orbitale herausgenommen werden und daraus dann das -System gebildet wird. Ist zwischen den Atomen schon ein -System vorhanden, werden die beiden radikalischen -Systeme vereinigt, wobei auch die möglichen Fälle der Bildung ungültiger -Systeme (siehe 6.6.1.3) berücksichtigt werden.

Im Laufe der Reaktionen werden so nach und nach auch die Konjugationen aufgehoben. Um Moleküle nicht doppelt oder dreifach zu erzeugen (mit und ohne Konjugationen), müssen die -Systeme nach jeder Reaktion wieder konjugiert werden. Der Hashcoder, der für die Erkennung identischer Moleküle und Molekülteile zuständig ist, unterscheidet Moleküle, deren -Systeme konjugiert sind bzw. nicht. Er wurde für die MO-orientierte Datenstruktur RICOS geschrieben, bei der dieser Unterschied eine Verdrehung im Molekül anzeigt.

6.6.1.5. Automatische Verteilung der Elektronen

Für die Valence-Bond-Emulation (siehe 6.6.1.4) wird eine automatische Verteilung der Elektronen benötigt. Die hier vorgestellte, einfache Methode, aufgrund von topologischen Daten die Elektronen auf die Elektronensysteme zu verteilen, soll für die meisten organischen Verbindungen richtige Zuordnungen treffen, kann aber nicht in allen Fällen die Angabe der Elektronenverteilung ersetzen. Deshalb sollte sie außer bei der Valence-Bond-Emulation, bei der sie nicht möglich ist und daher ihr Geltungsbereich eingeschränkt ist, stets in den Regeln bestimmt und angegeben werden.

Die automatische Verteilung der Elektronen auf die beiden Elektronensysteme bei der Spaltung eines -Systems geht von einer Tabelle aus, in der die normale Zahl von unkonjugierten Orbitalen - unbesetzt, teilweise besetzt oder besetzt - vermerkt ist. Diese Zahl ist natürlich von der Zahl der Orbitale abhängig, die ein Atom der verschiedenen Elemente in der Darstellung nach RICOS besitzt und ist für die verschiedenen Elemente in der folgenden Tabelle angegeben:

 
 H  He
 0, 1,
 
 Li Be                                                 B  C  N  O  F  Ne
 0, 0,                                                -1, 0, 1, 2, 3, 4,
 
 Na Mg                                                 Al Si P  S  Cl Ar
 0, 0,                                                -1, 5, 6, 7, 8, 9,
 
 K  Ca Sc                   Ti V  Cr Fe Mn Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
 0, 0, 0,                   0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,-1, 5, 6, 7, 8, 9,
 
 Rb Sr Y                    Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I  Xe
 0, 0, 0,                   0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,-1, 5, 6, 7, 8, 9,
 
 Cs Ba La
 0, 0, 0,
          Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu
          0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,
                            Hf Ta W  Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn
                            0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,-1, 5, 6, 7, 8, 9,
 
 Fr Ra Ac
 0, 0, 0,
          Th Pa U  Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lr
          0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,
                            Rf Ha ......
                            0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,-1, 5, 6, 7, 8, 9
 
Die Elemente, die Elektronenmangelverbindungen bilden, haben den Wert minus eins, der besagt, daß Atome dieser Elemente keine Elektronen zu einem -System beitragen, wenn eine Verbindung tatsächlich einmal an einem -System beteiligt sein sollte. Für die Hauptgruppen IV, V, VI und VII sind die Zahlen so gesetzt, daß sie 4, 3, 2 und 1 Bindung eingehen und die restlichen Orbitale in der RICOS-Darstellung als freie Elektronenpaare oder leere Orbitale besitzen. So ist für Stickstoff der Normalzustand mit einem freien Elektronenpaar kodiert, wodurch er drei Bindungen eingeht. Phosphor hat die 6, da er bei RICOS als Atom neun und nicht wie der Stickstoff vier Orbitale besitzt. Daraus ergibt sich als Normalzustand für den Phosphor eine Anzahl von einem freien Elektronenpaar und fünf leeren Orbitalen neben drei Bindungen. In dieser Tabelle sind die höheren Homologen also ohne Oktettaufweitung kodiert.

Zur Bestimmung, wieviele Elektronen normalerweise in den beiden Teilen eines gespaltenen -Systems enthalten sein sollten, wird für beide Elektronensysteme für jedes Atom die Zahl der Elektronen aufsummiert, die es beisteuert. Wieviele Elektronen kommen nun von einem Atom? Dazu werden zunächst die verschiedenen Elektronensysteme an diesem Atom gezählt. Man erhält die Zahlen der konjugierten -Systeme, zu denen das gespaltene -System immer dazuzählt (auch, wenn es ein p-Orbital wurde), die Zahl der nicht konjugierten Orbitale (z.B. freie Elektronenpaare) und die Zahl der -Systeme. Bei dieser Zählung ist die Besetzung der einzelnen Elektronensysteme unerheblich. Das Atom steuert dann zwei Elektronen zum -System bei, wenn das Atom weniger unkonjugierte Orbitale hat als in der Tabelle eingetragen sind, ansonsten beteiligt es sich mit einem Elektron.

Für einige Elemente lassen sich aber auch globale Aussagen machen: Elemente der dritten Hauptgruppe donieren kein Elektron, die Edelgase donieren zwei Elektronen und Wasserstoff, die Elemente der vierten Hauptgruppe, die Alkali- und Erdalkalimetalle sowie alle Nebengruppenelemente, Lanthaniden und Actiniden ein Elektron. Zu beachten ist überdies, daß die Oniumatome jeweils zwei Elektronen zum -System beitragen, die sie erhalten würden, wenn die Konjugation aufgehoben würde. In Fällen, in denen kein konjugiertes Elektronensystem am betrachteten Atom ist, wird dieser Algorithmus nicht verwendet.

Abbildung 98: Ein Elektron wird in das konjugierte -System doniert.

Abbildung 99: Zwei Elektronen werden in das konjugierte -System doniert.

Abbildung 100: Zwei Elektronen werden in das konjugierte -System doniert (Oniumatome; die Formalladung ist nicht Bestandteil der chemischen Datenstruktur RICOS, sondern wurde nur zur besseren Lesbarkeit angegeben.).

Hatte das gebrochene -System mehr oder weniger Elektronen als die so bestimmte Summe der normalen Elektronenzahlen der beiden neuen Elektronensysteme, erhält die Differenz - Defizit oder Überschuß - das Elektronensystem, das mehr Elektronen zugeteilt bekommen hat.

Mit dieser Methode erhält man für neutrale Verbindungen aus Hauptgruppenelementen ohne Oktettaufweitung und Oniumverbindungen die richtige Zahl von Elektronen, wenn sie keine Mehrzentren--Systeme und Komplexbindungen enthalten.

Einen Spezialfall stellt noch ein Stickstoffatom mit zwei -Systemen und zwei konjugierten -Systemen dar. In diesem Fall doniert das Stickstoffatom in das eine -System zwei und in das andere ein Elektron. Da auch mehrere solcher Atome im Molekül enthalten sein können und sich die -Systeme auch noch überschneiden können, kann nicht zuverlässig festgelegt werden, in welches -System wieviele Elektronen doniert werden, zumal es sich in der Praxis auch um Radikale, Kationen und Radikalkationen handeln kann. Deshalb wurde am obigen Schema keine Korrektur für diesen Fall vorgenommen. Damit erhält das betrachtete -System für dieses Atom zwei Elektronen. Wird dieses -System dann gespalten, erhält das noch verbleibende -System ein Elektron.

Abbildung 101: Fälle, in denen Stickstoff einmal ein und einmal zwei Elektronen doniert. Im linken Beispiel, das auch als Bindungsliste angegeben ist, doniert das Stickstoffatom in das linke -System zwei Elektronen (freies Elektronepaar) und eines in das recht -System der Doppelbindung zur Methylengruppe.

6.6.1.6. Weitere Möglichkeiten der Reaktionsgenerierung

Gruppen

Neben der genauen Angabe des Typs der einzelnen Bindungen sind die Gruppen die wohl wichtigste zusätzliche Eigenschaft der neuen Datenstruktur RICOS [51][52]. Mit ihnen lassen sich mehrere Atome und/oder Elektronensysteme zusammenfassen und Eigenschaften zuweisen. Die Gruppen haben einen Namen, der gleichzeitig auch den Typ angibt, und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Aggregat, Molekül, Elektronensystem, Atom oder gar einer weiteren Gruppe. Es gibt, wie bei allen anderen Eigenschaften solche Gruppen, die sich aus der Struktur selbst ableiten lassen (z.B. die Ringe, die zu den Molekülen gehören), und genealogische Variablen, die von den einzelnen Regeln gesetzt werden. Es kann mehrere Gruppen des gleichen Typs geben, wie die Gruppen des Typs Ring, die die verschiedenen Ringe im Ensemble darstellen. Es können aber auch in den Regeln Gruppen gebildet und gelöscht werden. Die so erzeugten Gruppen können beispielsweise verschiedene für die Reaktionen wichtige funktionelle Gruppen repräsentieren, die in einer Reaktion von einer funktionellen Gruppe in eine andere verwandelt werden. Daneben können auch neue Atome und/oder Elektronensysteme in die Gruppe aufgenommen bzw. aus ihr entfernt werden.

Die Gruppen dienen sowohl zum Markieren, wie im Fall der funktionellen Gruppen, als auch zur Bildung von Aggregaten. Wird eine solche Gruppe erzeugt, beschreibt sie eine spezielle Wechselwirkung, wie die Wasserstoffbrückenbindung. Faßt sie Atome aus verschiedenen Molekülen zusammen, bilden die Moleküle ein Aggregat, also ein Teilchen für EROS7. Die Quartärstruktur eines Proteins wäre ein Aggregat, das aus den Proteinsträngen, den Molekülen, besteht. Ob nun eine Gruppe in der Lage ist, ein Aggregat zusammenzuhalten oder gelöscht bzw. geteilt wird, wenn die Atome und/oder Elektronensysteme in verschiedenen Molekülen zu liegen kommen, wird angegeben, wenn diese Gruppe erzeugt wird.

Eine Möglichkeit eine Wasserstoffbrückenbindung zu kodieren wäre, die zwei Atome, das Wasserstoffatom und den Elektronendonor sowie das freie Elektronenpaar des Donoratoms in einer Gruppe zusammenzufassen und sie h-bridge zu nennen und diese dem Aggregat zuzuordnen.

Abbildung 102: Eine Möglichkeit der Kodierung der Wasserstoffbrückenbindung.

Diese Gruppe der Wasserstoffbrückenbindung kann auch noch Eigenschaften besitzen, wie etwa ihre Bindungsstärke.

Setzen von Eigenschaften

Gesetzt werden können neben wenigen, die Struktur beschreibenden Eigenschaften, wie das Zentrum eines Mehrzentren--Systems oder etwaiger Stereodeskriptoren, alle genealogischen Variablen. Wird eine genealogische Variable beim Initialisieren der Regeln mit einem Namen sowie dem Daten- und Chemietyp angemeldet, kann sie für alle Ensembles bei der Überprüfung der Bedingungen gelesen und im Funktionsteil selbst gelesen und gesetzt werden. Als Datentypen stehen ganzzahlige Werte (int), Fließkommazahlen (double), Vektoren aus diesen beiden sowie Zeichenketten und 64-Bit-Werte für Hashcodes zur Verfügung. RICOS kennt noch weitere Datentypen, die aber von der Regelschnittstelle auf diese sechs Datentypen abgebildet werden. Der Chemietyp gibt an, zu welchen Objekten diese genealogische Variable gehört. Das sind Atome, Elektronensysteme, Gruppen, Moleküle und Aggregate. Wird sie gelesen, ohne daß ihr zuvor ein Wert zugewiesen wurde, erhält man einen default-Wert, der in der Regel null ist. Die genealogischen Variablen dienen in ihrer Hauptsache dazu, die Geschichte der Entstehung eines Aggregates zu speichern. In der Massenspektroskopie werden die Moleküle bei der Ionisation gleichzeitig auch angeregt. Im Laufe der Fragmentierungen verliert das Kation meist stark an Anregungsenergie. Mit einer genealogischen Variable, in der man bei jeder Reaktion die Reaktionsenthalpie auf die Anregungsenergie nach der Ionisation addiert und die resultierende Anregungsenergie auf das Kation und das Neutralfragment aufteilt, erhält man für jedes Kation seine Anregungsenergie. Da oft große Neutralfragmente mit vielen Freiheitsgraden abgespalten werden, verliert das Kation in nur wenigen Reaktionsschritten fast seine komplette Anregungsenergie. Reaktionen mit einer hohen Aktivierungsbarriere können so für kalte Ionen ausgeschlossen werden.

Einführen von Atomen und Löschen von Aggregaten

In Fällen, wie dem Abbau von Umweltchemikalien, ist man nicht am Konzentrationsverlauf der im Überschuß vorhandenen Verbindungen wie Wasserstoff als formales Reduktionsmittel und Wasser interessiert. Man beschreibt die Kinetik als Kinetik pseudoerster Ordnung, bei der die Geschwindigkeitskonstante das Produkt aus der Geschwindigkeitskonstante zweiter Ordnung und der Konzentration des Edukts im Überschuß ist. Für jeden Reaktionstyp steht dann fest, welches zweite Edukt benötigt wird. Es müssen also nicht alle anderen möglichen Edukte auf ihre Verwendbarkeit hin überprüft werden. Für diese Art der Reaktionsgenerierung dient dann nur die Umweltchemikalie bzw. einer ihrer Metaboliten als Edukt, das zweite Edukt wird während der Reaktion eingeschleust.

Abbildung 103: Einschleusen von Edukten während einer Reaktion.

Für eine Hydrolyse erzeugt man dazu zwei Wasserstoff- und ein Sauerstoffatom und bildet eine Bindung zwischen einem der Wasserstoffatome und dem Sauerstoffatom. Auf die zweite Bindung kann verzichtet werden, da diese Bindung für die Hydrolyse ohnehin gleich wieder gespalten würde und dieses Wasser nicht als Edukt ausgegeben wird. In der Umweltchemikalie wird anschließend eine Bindung gebrochen und an die freien Valenzen das Wasserstoffatom und die Hydroxylgruppe gebunden. Alternativ kann das zweite Edukt auch aus einer Datei eingelesen werden (siehe unten). Die ausgegebene Reaktion ist in diesen Fällen allerdings nicht stöchiometrisch ausgeglichen, da das Wasser nicht als Edukt in Erscheinung tritt.

Der gleichen Gedankenansatz kann dazu führen, daß kein Interesse an einem der Produkte besteht, nachdem eine Reaktion vollständig durchgeführt wurde. Denkbar wären hier das abgespaltene Neutralfragment bei massenspektroskopischen Prozessen, die nicht detektiert werden können, wodurch auch ihre entstandene Menge uninteressant ist. Deshalb ist es möglich, während der Reaktion auch ganze Aggregate aus dem Ensemble zu löschen. Weil über die Eigenschaften zunächst abgefragt werden muß, welche Nummer das zu löschende Aggregat hat, kann das Löschen des Aggregates erst als zweiter Teilschritt durchgeführt werden. Auch hier sind die ausgegebenen Reaktionen nicht stöchiometrisch korrekt. Im Falle der Massenspektroskopie gibt es jedoch eine bessere Möglichkeit, die Neutralfragmente von einer Weiterreaktion auszuschließen und dennoch stöchiometrisch korrekte Reaktionen zu erhalten (siehe 6.4.2).

Die Einführung von Edukten während Reaktionen pseudoerster Ordnung wurde auf diese Weise durchgeführt, damit die Ordnung der Reaktion und, von welcher Stoffkonzentration die Reaktionsgeschwindigkeit abhängt, zur Aufstellung der Differentialgleichungen automatischen abgeleitet werden können. Wird darauf bestanden, stöchiometrisch korrekte Reaktionen zu formulieren, besteht die Möglichkeit, die Reaktion als Reaktion zweiter Ordnung zu formulieren, wobei die Konzentrationen der Edukte entsprechend gesetzt werden. Die Simulation mit Reaktionen zweiter Ordnung ist langsamer, da EROS7 mehrere Eduktkombinationen durchtesten muß, bevor es die richtige gefunden hat.

Erzeugung mehrerer Reaktionen aus einer gefundenen Reaktionssubstruktur

Ausgangspunkt für die Möglichkeit mehrere Reaktionen ausgehend von einer gefundenen Reaktionssubstruktur zu erzeugen, war die Ionisationsregel für die massenspektroskopischen Fragmentierungsregeln. Hier enthält die RSS kein Atom, sondern nur ein Elektronensystem. Es gibt nur eine Reaktionssubstruktur ohne Atome, es muß aber für jedes verschiedene Elektronensystem eine eigene Ionisationsreaktion durchgeführt werden. Dazu setzt man in einer Schleife das Edukt als aktives Ensemble, entfernt das Elektron aus dem entsprechenden Elektronensystem und setzt das neue Ensemble als Produkt einer Reaktion. In der Schleife werden so nach und nach alle Reaktionen für alle unterschiedlichen Elektronensysteme ausgeführt. In diesem Fall muß die Symmetriezahl für jede Reaktion auf die Gesamtzahl identischer Elektronensysteme gesetzt werden (siehe 6.6.3).

Als Beispiel sind in Abbildung 104 die n- und -Ionisationen von Acrylsäure angebenen. Würde der Reaktionstyp der Ionisation ein Atom im Reaktionszentrum enthalten, würde die Ionisation des konjugierten -Systems mit sechs Elektronen für jedes der fünf an ihm beteiligten Atome erzeugt. Die Reaktionssubstruktur ohne Atome wird allerdings nur ein einziges Mal in jedem beliebigen Molekül gefunden und damit auch nur einmal für Acrylsäure. Um alle drei in Abbildung 104 gezeigten Ionisationen durchführen zu können, ist es möglich aus der einen gefunden Reaktionssubstruktur ohne Atome mehrere Reaktionen zu generieren, nämlich alle drei Ionisationen.

Abbildung 104: Drei Ionisationen (n und ) von Acrylsäure. Die Elektronensysteme, aus denen ein Elektron enfernt wurde, sind grau markiert.

Wird bei einer Reaktion ein Stereozentrum eingeführt und dabei Diastereomere gebildet, müssen diese Produkte mit verschiedenen Reaktionen erzeugt werden. Da auch für diese beiden Reaktionen die Reaktionssubstrukturen identisch sind, ist auch hierfür die Möglichkeit notwendig, mehrere Reaktionen aus einer gefundenen Reaktionssubstruktur zu erzeugen.

Ein- und Ausgabe innerhalb der Regeln

Zu Testzwecken einer neu geschriebenen Regel und um die Regelschnittstelle von EROS7 für andere Anwendungen verwenden zu können (siehe 6.13), kann während der Abarbeitung der Teile der Regeln, die auf einem Ensemble arbeiten, die aktuelle Struktur in verschiedenen Formaten ausgegeben werden oder in eine Datei geschrieben werden. Ebenso wie die Ensembles geschrieben werden können, kann man sie auch aus einer Datei lesen. Dies dient der Einführung von Aggregaten während der Reaktion (siehe Einfügen von Atomen auf Seite 96), wie auch für die Verwendung der Regelschnittstelle für andere Anwendungen. Da Lesevorgänge etwas länger dauern, wird jedes Ensemble, das aus einer Datei gelesen wird, nur ein einziges Mal gelesen und für alle weiteren Male intern gespeichert.

6.6.2. Berechnung der Reaktivität

Die Reaktivität einer Reaktion kann einfach gesetzt werden oder aus Eigenschaften des Edukts, der Zwischenprodukte oder Übergangszustände sowie des Produktensembles berechnet werden. Dazu können eine einfache Funktion, aber auch neuronale Netze, wie ein Backpropagationnetz und ein Counterpropagation- oder Kohonennetz verwendet werden.

Die Eigenschaften werden abgefragt, wenn das entsprechende Ensemble aktiv ist. Zu Beginn der Reaktion können die Eigenschaften des Eduktensembles abgefragt und bereits der Eduktfunktionsteil berechnet werden. Ist ein Reaktionsteilschritt bzw. die Gesamtreaktion abgeschlossen, können die Eigenschaften von diesem Ensemble (einem Übergangszustand, Zwischenprodukt oder dem Produkt) der Reaktion, abgeholt und zur Reaktivität verrechnet werden.

6.6.3. Anpassung der Symmetriezahl einer Reaktion

Die Symmetriezahl einer Reaktion ist die Zahl der Möglichkeiten, diese Reaktion auf den Edukten durchzuführen. Sie wird als Produkt der Anzahl gleichwertiger Atome für jedes Atom in der RSS berechnet (siehe 6.5.4). Gleichartig sind die Atome dann, wenn es sich um äquivalente Atome handelt, die auch noch die gleiche Beziehung zu allen Atomen in der RSS besitzen. Als Beziehung wird sowohl der Abstand als auch der Nachbarschaftshashcode verwendet, falls das Atom in der RSS als Nachbaratom zu einem anderen Atom in der RSS definiert ist. Zur Identität von Atomen bei der Suche des Reaktionszentrums siehe 6.5.3. Hat man als Edukte zwei gleiche Moleküle und bereits ein Atom in der RSS gefunden, sind die äquivalenten Atome in den beiden Molekülen nicht mehr gleichwertig. Durch diese Bestimmung der Symmetriezahl der Reaktion ist sie auch bei mehreren Teilzentren und mehreren Molekülen korrekt. Sie wird, wie in Abschnitt 6.5.4 beschrieben, automatisch bestimmt.

Werden während der Reaktion jedoch Moleküle eingeschleust, muß die Symmetriezahl der Reaktion mit der der reagierenden Substruktur im eingeschleusten Molekül multipliziert werden. Im Fall der Ionisationsreaktion (siehe Erzeugung mehrerer Reaktionen aus einer gefundenen RSS auf Seite 97) wird die Symmetriezahl auf den Wert gesetzt, der angibt wieviele gleiche Elektronensysteme im Molekül vorhanden sind. Diese Zahl kann als Eigenschaft des Elektronensystems abgefragt werden.

6.6.4. Die Verteilungsfunktion

Nachdem alle konkurrierenden Reaktionen ausgehend von einem Eduktensemble durchgeführt sind, wird die Verteilungsfunktion aufgerufen. Es gibt Situationen, in denen man an den erzeugten Reaktionen Korrekturen durchführen möchte. Ein Beispiel hierfür kann die Oniumreaktion bei der Simulation der Prozesse im Massenspektrometer sein (siehe Abbildung 105).

Abbildung 105: Oniumreaktion. A1 ist kein Kohlenstoff, A2 ist ein beliebiges Atom und das Kation enthält kein Radikalzentrum.

Für die Analyse von Massenspektren ist es wichtig, daß möglichst eindeutige Reaktionswege zu generieren (siehe 4.2.3.1). Die Oniumreaktion bildet unabhängig von der Länge der Atomkette (0-3) immer das gleiche Kation. Kann nun das Wasserstoffatom aus unterschiedlichen Entfernungen kommen, können diesen Reaktionen keine eindeutigen Reaktionswahrscheinlichkeiten mehr zugeteilt werden, da sie aufgrund der einzig verfügbaren Information, den Signalintensitäten im Massenspektren, nicht unterschieden werden können. Daher sollte nur die Reaktion erzeugt werden, die fast die ganze Menge des Produktkations bildet. Dies kann durch eine aufwendige Suche nach optionalen Atomen geschehen oder durch den nachträglichen Ausschluß der untergeordneten Reaktionen in der Verteilungsfunktion erfolgen, nachdem alle Reaktionen des Eduktkations generiert wurden.

Generell ist es hier möglich, die Reaktionen, die von einem Eduktensemble ausgehen, zu vergleichen und die Reaktivitätswerte der Reaktionen gegebenenfalls anzupassen oder eine Reaktion ganz zu verwerfen. Dazu stehen alle an das Kernsystem von EROS7 übergebenen Variablen der Typen int und double sowie die Symmetriezahl der Reaktionen, die Phase für die Produkte (siehe unten) und eine Nummer für die Entscheidungen zur Verfügung, aus der die Identität der Produkte erkannt werden kann. Die Nummer 1 steht dabei für das Eduktensemble und alle anderen Nummern stehen für neue Produkte, wobei gleiche Produkte auch gleiche Nummern erhalten. Auf die Aggregate selbst kann jedoch nicht zugegriffen werden. Bei einem komplexen Satz von Reaktionstypen, wie sie für die Analyse und Simulation von Massenspektren (siehe 4.5.3) verwendet wurden, kann es vorkommen, daß eine Reaktion vom Edukt zum Produkt von zwei verschiedenen Reaktionstypen erzeugt wird (siehe Abbildung 106).

Abbildung 106: Konkurrenz zwischen der -Spaltung und der Halogenspaltung. Die gestrichelte Linie zeigt die Spaltung der Bindung an.

In der Regel möchte man allerdings nur die Reaktion mit der höchsten Priorität behalten. Deshalb ist es möglich, die Reaktionen mit niedrigeren Prioritäten in der Verteilungsfunktion zu verwerfen. Sie ist dann nicht mehr Bestandteil des Reaktionsnetzwerks. Eine ähnliche Situation ergibt sich für die Oniumreaktion (siehe 4.5.3), in der ein Wasserstoffatom aus verschiedenen Entfernungen umgelagert und ein neutraler Rest abgespalten wird. Ist die Oniumgruppe nicht in einem Ring, entsteht in allen Fällen dasselbe Kation, nur das abgespaltene Neutralfragment unterscheidet sich, das für das Massenspektrum ohne Bedeutung ist. Unter den Oniumreaktionen mit verschiedenen Abständen zwischen dem Wasserstoffatom und dem Zentrum der positiven Ladung gibt es eine eindeutige Absenkung der Reaktivität mit steigender Entfernung. Hat man, wie im Fall der Analyse von Massenspektren, Probleme mit redundanten Reaktionen bezüglich des Kations, kann man sich durch den Ausschluß der redundanten Reaktion auf die reaktivste beschränken. Handelt es sich nicht um einen Phasenübergang, sind auch Reaktionen, bei denen das Produkt gleich dem Edukt ist, unerwünscht. Diese Reaktionen in der Verteilungsfunktion nachträglich zu verwerfen, ist wesentlich einfacher als in jedem Reaktionstyp zu überprüfen, ob dies der Fall ist.

Für organische Reaktionen ist die Verteilungsfunktion ohne Bedeutung. Hier genügt die in EROS7 eingebaute Verteilungsfunktion, die aufgerufen wird, wenn in den Regeln keine angegeben ist. Sie verwirft Reaktionsduplikate und Reaktionen, die das Edukt nicht verändern und keine Phasenübergänge sind.

Schließlich können hier zusätzliche Werte für die Reaktionen berechnet werden.



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