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4. Simulation von Massenspektren auf der Basis von Bindungslisten

4.1. Methodik

Diejenigen Massenspektren, die am meisten Information über die Struktur enthalten und schon seit längerem aufgenommen werden, sind die 70eV Elektronenstoßmassenspektren. Sie ergeben sich dadurch, daß die Moleküle durch einen Elektronenstoß ionisiert und gleichzeitig angeregt werden. Die energiereichen Radikalkationen lagern sich um und fragmentieren unter Abspaltung von Neutralfragmenten. Abhängig von der Häufigkeit der verschiedenen Kationen und ihren Massen ergibt sich die Intensitätsverteilung bei den unterschiedlichen Massen im Massenspektrum.

Ist es möglich die Umlagerungen und Fragmentierungen inklusive deren Umsätze zu berechnen, kann man auch die sich daraus ergebenden Massenspektren simulieren. Die wichtigsten Umlagerungs- und Fragmentierungstypen sind schon eine Weile bekannt und können beispielsweise in [1] und [18] nachgelesen werden. Über die Reaktivitäten der einzelnen Umlagerungen und Fragmentierungen findet man in der Literatur dagegen oft nur grobe Bewertungen oder gar keine Angaben. Es stehen jedoch Datenbanken mit 70eV Elektronenstoßmassenspektren und ihren Strukturen mit einigen tausend Einträgen [19][20] zur Verfügung. Solche Spektrensammlungen sind oft auch in Programmsysteme integriert, mit denen Ähnlichkeits- und Substruktursuchen auf der darunterliegenden Datenbank durchgeführt werden können, wie MassLib [21][22] oder SpecInfo [6][7]. Mit diesen Programmen hat man starke Werkzeuge zur Strukturaufklärung, sofern viele Massenspektren ähnlicher Substanzen in der Datenbank enthalten sind. Hat man dagegen die Reaktivitäten der Umlagerungs- und Fragmentierungsregeln, ist es möglich, auch für solche Substanzen Massenspektren zu simulieren, für die keine ähnlichen in der Datenbank enthalten sind.

Da Massenspektren die ganze Information über die Struktur der Verbindung enthalten, sollte es möglich sein, die fehlenden Reaktivitäten für die im Massenspektrometer ablaufenden Reaktionen abzuleiten. Dabei ist es nicht nötig, möglichst viele ähnliche Strukturen in der verwendeten Datenbank zu haben. Wichtig ist, daß für alle Reaktionstypen der gesamte Raum der elektronischen und sterischen Verhältnisse (alle Kombinationsmöglichkeiten der Verhältnisse) des Reaktionszentrums bei den Fragmentierungen abgedeckt ist. Dies kann aber auch in ganz verschiedenen Molekülen erreicht werden. Als Ergebnis der Analyse der Massenspektren aus der Datenbank erhält man für jeden Reaktionstyp eine Datenbank von Reaktionen mit ihren Reaktivitäten (siehe Abbildung 5). Stellt man nun einen funktionalen Zusammenhang zwischen den Eigenschaften, z.B. physikochemischen Parametern, des Reaktionszentrums und der Reaktivität her, kann man für beliebige Reaktionszentren die Reaktivität bestimmen. Der funktionale Zusammenhang kann dabei explizit in Form einer mathematischen Funktion oder implizit in einem neuronalen Netz beschrieben sein. Das Programm FRANZ (Fragmentation and Rearrangement ANalyZer) [23][24] ist das Programm zur Analyse der Massenspektren und erstellt aus einer Datenbank mit Massenspektren und den dazugehörigen Strukturen für die verschiedenen, vorgegebenen Fragmentierungstypen Datenbanken mit Reaktionen, denen eine Reaktionswahrscheinlichkeit zugeordnet wurde. Über eine Statistik oder neuronale Netze lassen sich aus diesen die bewerteten Fragmentierungsregeln ableiten.

Abbildung 5: Ableitung der bewerteten Fragmentierungsregeln aus Datenbankspektren.

Ausgehend von den Fragmentierungsregeln sowie den funktionalen Zusammenhängen zwischen den Reaktivitäten und den Eigenschaften des Reaktionszentrums für die einzelnen Regeln lassen sich dann Massenspektren simulieren. Mit MASSIMO (MAss Spectra SIMulatOr) [23][15] kann man dann Massenspektren ausgehend von der Struktur einer Verbindung und unter Verwendung der mit FRANZ gewonnenen bewerteten Fragmentierungsregeln simulieren.

Abbildung 6: Simulation von Massenspektren aufgrund des abgeleiteten massenspektroskopischen Wissens.

Gelingt es nicht, den gesamten Raum der elektronischen und sterischen Verhältnisse des Reaktionszentrums eines Reaktionstyps abzudecken, werden Reaktionen, bei denen die Verhältnisse des Reaktionszentrums in einem unbesetzten Teil des Raums zu liegen kommen, möglicherweise falsch bewertet. In solchen Fällen gibt es dann Einschränkungen für die Anwendbarkeit der bewerteten Fragmentierungsregeln.



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